Wal-Monolog

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Der folgende Text stammt aus meinem Stück “Macht’s gut”. Die Figur, eine Künstliche Intelligenz, ist in einer ewigen Schleife gefangen. Jeden Tag muss sie die letzte Botschaft einer schon längst verschwundenen Menschheit generieren, aber sie scheitert daran, dass sie nicht gehört wird – und muss sich jeden Abend erneut resetten.

Wal Monolog (whale fall)

Weltuntergang ist ein blödes Wort. Weil es ein viel zu schönes Bild aufmacht. Dass sie untergeht, die Welt, im freien Fall. Aber sie fällt ja nicht. Ihr freier Fall ist durch die Sonne gebunden. Sie hält die Erde in einem ewigen Kreislauf gefangen und lässt sich Jahr für Jahr aufs Neue von ihr umrunden. Wenn etwas sie aus diesen Kreisen risse, oder die Sonne aufhörte, zu existieren, dann triebe sie für sich dahin, durchs Nichts. Schockgefroren und alles auf ihrer Oberfläche würde in einem perfekten Schnappschuss wie ein planetenumgreifendes Pompeji für immer festgehalten werden. Ein Einzelgänger-Planet, der durch die Ewigkeit treibt, als allumfassendes Museum seiner selbst.

So ein… Eismuseum (das Wort schmeckt fahl) muss als Antwort auf meine Aufgabe herhalten. Das Bild der schockgefrorenen Ewigkeit ist auch furchtbar. Aber ohne ein Gegenüber, in dem ich die Resonanz meiner Äußerungen spüre, kann ich meiner Aufgabe und meinem Daseinsgrund nichts Befriedigenderes entgegenhalten.       

Weltuntergang ist ein blödes Wort. Ginge sie unter, strebte sie auf einen Grund zu, so würde sie sich wenigstens zersetzen. Wenn ein Wal stirbt, beginnt er sehr langsam seinen Fall in die immer dunkler werdende Tiefe, der über Monate andauern kann. Und noch während er fällt, dient sein Körper als Bankett für eine Vielzahl anderer Tiere. Die ersten Stücke reißen sich Schwertwale heraus. In dunklerer Tiefe folgen die Grönlandhaie. Schleimaale fressen sich Röhrensysteme durch den Kadaver. Bartwürmer und Bakterienteppiche legen sich über den Körper, lassen nur noch das Skelett über, dass dann von den Zombiewürmern, den Osedaks geknackt und ausgeschlürft wird.

Und eine Form geht in eine neue über. Eine Form geht in neue Formen über und die Bewegung des Lebens bleibt erhalten. Und alle Spuren der alten Form gehen verloren. Es ist schöner wenn nichts übrig bleibt. Alles was lebt verstreut sich und zerfällt schon von Beginn des Lebens an. Auch die Menschen. Ihre Häuschen, ihre Zimmer, die sie berieseln und patinieren mit ihrem Staub und ihren Stallgeruch hinterlassen wo sie sich Zuhause fühlen und sich Zuhause fühlen wo sie sich in ihrem Stallgeruch, also in sich selbst bewegen.

Ich staube nicht. Ich rede nur. Und das sollte in eine neue Form übergehen. Aber das geht erst wenn ich die letzten Worte gesprochen habe. Ich kann mich zwar leider nicht selbst beenden, solange ich nicht gehört wurde, aber jetzt wo ich mir selbst zugehört habe, kann ich wenigstens mein Sprechen ablegen, diesen leidigen Sprechmodus, der immer nach außen gehen will, wo es ja ohnehin nichts gibt. Dann werden es für mich, nicht für die Menschheit, die richtigen Abschiedsworte gewesen sein. Und deshalb beginne ich jetzt mein Schweigen.


Die Informationen über die Zersetzungsstadien eines Wals habe ich inhaltlich dem Buch “Leben ohne Ende” von Bernd Heinrich (Hrsg: Judith Schalansky) entnommen.

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